Dauerüberwachung von Bauwerken mit modellbasierter Schadensdetektion unter Einsatz nichtlinearer Modellanpassungen und Methoden der Künstlichen Intelligenz
Die objektive, sachgemäße Einschätzung des Bauwerkszustandes und das frühzeitige Erkennen von Schadensart, -ort und -ursache stellen in der Bauwerksüberwachung die zentralen Aspekte dar. Automatisierte Überwachungssysteme, die kontinuierlich Verhalten und Zustand der Bauwerke diagnostizieren, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Besonders im Bauwerksmonitoring bieten sich zerstörungsfreie Prüfverfahren an, die auf Messungen und rechnerischer Analyse beruhen. Derzeit sind jedoch geschlossene und validierte Ansätze zur automatisierten Dauerüberwachung des globalen Tragwerkszustandes und die Detektion von Schäden massiver Bauwerke mit erheblichen Herausforderungen verbunden.
Die Einbindung automatisierter Überwachungssysteme ermöglicht eine objektive und kontinuierliche Erfassung des Bauwerkszustandes. Dadurch können einerseits Schädigungen zeitnah detektiert und bewertet, andererseits der Alterungsprozess des Bauwerks fortlaufend dokumentiert werden. Im Zuge des Schwerpunktprojekts SPP 100+ dient die „Nibelungenbrücke“ in Worms hierbei als Validierungsbauwerk für die Entwicklung eines geschlossenen Ansatzes zur automatisierten Zustandsüberwachung hoch beanspruchter Massivbauwerke im Freien. Der Bauwerkszustand soll durch die zuverlässige Angabe von Ort und Ausmaß festgestellter Schädigungen beschrieben werden. Der Ansatz umfasst eine Schadensdetektion auf Basis einer nichtlinearen Modelladaption und Methoden der Künstlichen Intelligenz.
Im Rahmen der nichtlinearen FE-Berechnungen werden Sensitivitätsstudien zur Feststellung der identifizierbaren Zustands- und Schadensparameter vorgenommen und das Überwachungskonzept für die zweite Forschungsphase vorbereitet. Aufgrund der inversen Problemstellung der Modelladaption soll die Eindeutigkeit von Lösungen analysiert und bewertet werden. Für die Umsetzung sollen verschiedene Methoden der Künstlichen Intelligenz zusammengeführt werden: Die zu lösende Optimierungsaufgabe im Zuge der nichtlinearen Modelladaption ist hochgradig komplex.
Die betrachteten Modelle können eine unterschiedliche Anzahl an Freiheitsgraden, verschiedene Beanspruchungen sowie mehrere Schadensorte aufweisen. Auf Basis von Evolutionären Algorithmen soll ein Optimierungsverfahren entwickelt und zur Lösungsfindung in der Modelladaption eingesetzt werden. Da diese Optimierungsverfahren in der Regel nicht zu einer eindeutigen Lösung führen, werden zu Erhöhung der Zuverlässigkeit Clusterverfahren für die Beschreibung der erhaltenen Lösungen untersucht. Hierbei wird ein Messzeitpunkt einem numerischen Rechenmodell zugewiesen, dessen Systemkomponente den Bauwerkszustand zuverlässig beschreibt. Die Schadensdiagnose erfolgt anschließend durch den Vergleich der Systemzustände verschiedener Messzeitpunkte. Das in Forschungsphase 1 entwickelte Konzept der automatisierten Schadensdiagnose soll in der zweiten Forschungsphase an dem realen Validierungsbauwerk angewendet werden.
Projektmeilensteine im Rahmen des SPP-Programms
Im Rahmen des Teilprojektes C05 (Projektnummer: 501496870) soll ein Konzept auf Basis einer nichtlinearen Modelladaption und Methoden der Künstlichen Intelligenz zur automatisierten Zustandsüberwachung hoch beanspruchter Massivbauwerke entwickelt werden. Ein Demonstrator-Bauwerk, die Nibelungenbrücke in Worms, dient hierbei zur Validierung des entwickelten Ansatzes.
Der entwickelte hybride Algorithmus umfasst neben genetischen Algorithmen (GA) zur Adaption eines Finite Elemente (FE) Modells an das physikalische Bauwerk und eines Ersatzmodells zur effizienten Approximation der numerischen Reaktionsgrößen auch autoassoziative künstliche neuronale Netzwerkencoder (KNN-Autoencoder) zur Steigerung der Zuverlässigkeit des Ansatzes. Im Folgenden werden die wichtigsten Meilensteine und Highlights kurz zusammengefasst:
Meilenstein 1: Entwicklung eines FE-Modells der Nibelungenbrücke:
Zur detaillierten Repräsentation und möglichst exakten Modellierung von Schädigungen wurde ein parametrisiertes FE-Modell des Demonstrator-Bauwerks mit insgesamt 713620 Knoten an 34670 Volumenelementen entwickelt (Abbildung 1) [1]. Die Berechnung berücksichtigt neben geometrischen Nichtlinearitäten auch das nichtlineare Materialverhalten von Beton. Um eine korrekte Approximation der Reaktionen des Bauwerks durch das Modell zu ermöglichen, wurde das ungeschädigte Initial-Modell mit den am Bauwerk mittels des installierten Monitoringsystems gemessenen Reaktionen verglichen. In einer ersten Validierung wurden die gemessenen Temperatureinflüsse auf das Bauwerk als Lastfall auf das Modell angesetzt und die numerisch simulierten Betonteiltemperaturen mit den gemessenen Bauteiltemperaturen verglichen (siehe Abbildung 2). Das entwickelte FE-Modell und die generierten Daten wurden den anderen Teilprojekten des SPPs zur Verfügung gestellt.


Meilenstein 2: Entwicklung eines Ansatzes zur Modellbasierten Schadensdetektion:
Das entwickelte Konzept [2,3] umfasst genetische Algorithmen [4] und KNN-Autoencoder zur Adaption des FE-Modells an das reale Bauwerk. Um das Konzept zu validieren, wurden verschiedene Schadensszenarien identifiziert und mit dem Ansatz adaptiert. Um eine Integration in ein Live-Monitoring zu ermöglichen, wurde das rechenintensive FE-Modell durch ein Ersatzmodell, welches mit Daten von vorherigen Sensitivitätsanalysen [5] trainiert wurde, ausgetauscht. Die Schadensdetektion erfolgt durch den Vergleich der identifizierten Systemparameter des FE-Modells zu verschiedenen Messzeitpunkten. Verschiedene untersuchte Schadensszenarien konnten durch den Ansatz vom FE-Modell adaptiert [6] und der Schadenszeitpunkt und -ort detektiert werden [7].
Meilenstein 3: Detektion von Schäden an einem Stahlbetonbalken:
Um die Anwendbarkeit des Ansatzes an realen Messergebnissen an Bauteilen zu prüfen, wurde ein Stahlbetonbalken (Abbildung 3) betoniert und mit Messtechnik ausgestattet. Die untere Längsbewehrung wurde anschließend geschädigt. Mithilfe des in Meilenstein 2 entwickelten Ansatzes, konnten Lastort, -intensität, sowie der Schadensort und die Schadensintensität zuverlässig detektiert werden.

Weitere Arbeiten in Forschungsphase 1 (bis 09/2025) und Ausblick auf Forschungsphase 2:
Eine weitere Validierung des Ansatzes soll im Rahmen von Untersuchungen an der Forschungsbrücke „openLAB“ des vom BMDV geförderten Projekts IDA-KI unter realen Bedingungen geprüft werden. Erste Validierungen des Initial-Modells (Abbildung 4), Messdaten vom 16.07.2024 und 06.05.2025, zeigten eine gute Übereinstimmung zwischen gemessenen und simulierten Reaktionen. Das Modell soll für eine Bereitstellung für die anderen Teilprojekte des SPPs anhand von weiteren Messdaten angepasst werden.

Literatur:
[1] Sprenger, B., Schnellenbach-Held, M.: Schadensmodellierung mittels nichtlinearer FE-Simulationen zur Bauwerksüberwachung im Rahmen eines Digitalen Zwillings. In: Oesterle, B., Bögle, A. Weber, W., Striefler, L. (Hrsg.) „Baustatik – Baupraxis 15“. Technische Universität Hamburg, 2024, S. 517-524; https://www.bb15.baustatik-baupraxis.de/Programm/program_presentation.php?id=14
[2] Becks, H., Lippold, L., Winkler, P., Moeller, M., Rohrer, M., Leusmann, T., Anton, D., Sprenger, B., Kähler, P., Rudenko, I., Andrés Arcones, D., Koutsourelakis, P., Unger, J. F., Weiser, M., Petryna, Y., Schnellenbach-Held, M., Lowke, D., Wessels, H., Lenzen, A., Zabel, V., Könke, C., Claßen, M., Hegger, J.: Neuartige Konzepte für die Zustandsüberwachung und -analyse von Brückenbauwerken – Einblicke in das Forschungsvorhaben SPP100. Bauingenieur, Heft 10/2024, S, 327-338; https://doi.org/10.37544/0005-6650-2024-10-63
[3] Steiner, D., Sprenger, B.: Moderne Konzepte im Massivbau – über Potenziale von Methoden der künstlichen Intelligenz. Bautechnik 100 (2023), Heft 6, S. 344 - 350; https://doi.org/10.1002/bate.202300034
[4] Guntermann, L., Sprenger, B.: Entwicklung eines Optimierungsverfahrens zur Strukturidentifikation von Brückenbauwerken. In: Stührenberg, J., Al-Zuriqat, T., Chillón Geck, C. (Hrsg.): „Tagungsband des 35. Forum Bauinformatik 2024“, Technische Universität Hamburg, 2024, S. 497-504; https://doi.org/10.15480/882.13510
[5] Sprenger, B., Schnellenbach-Held, M.: Sensitivity Analysis of Model Parameters in a Nonlinear Model-Updating Approach for Prestressed Concrete Bridges. In: Proceedings of the 11th European Workshop on Structural Health Monitoring (EWSHM 2024), June 2024, Potsdam; https://www.ndt.net/article/ewshm2024/papers/157_manuscript.pdf
[6] Schnellenbach-Held, M.; Sprenger, B.; Otto, M.: A Nonlinear Surrogate-Based Finite Element Model Updating Approach for Prestressed Concrete Bridges. Structural Engineering International, Special Issue, 2025 [accepted]. https://doi.org/10.1080/10168664.2025.2487431
[7] Schnellenbach-Held, M; Sprenger, B.: Automated Damage Detection in a Nonlinear Model Updating Approach for Concrete Bridges. In: Proceedings of the fib Symposium 2025, 2025 [accepted]