Teilprojekt B03

Monitoringdatengetriebenes Lebensdauermanagement mit AR auf Basis einer adaptiven, KI-gestützen Korrosionsprognose für Infrastrukturbauwerke aus Stahlbeton unter kombinierten Einwirkungen

Ausgangslage/ Relevanz

Im deutschen Bundesfernstraßennetz befinden sich mehr als 39.000 Brücken, davon bestehen ca. 85% aus Stahl- und Spannbeton. Mehr als die Hälfte dieser Ingenieurbauwerke weist ein Alter von 40 bis 50 Jahren auf (BASt 2021). Alterung und Materialermüdung infolge von Umweltexposition und gestiegener Verkehrsbelastung führen zur Schädigung der Bausubstanz und gefährden damit die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des gesamten Verkehrssystems. Die Hauptschadensursache stellt in diesem Kontext die chloridinduzierte Bewehrungskorrosion dar, siehe Abbildung 1.

Ziele des Projekts

Im Projekt wird eine Methode zur adaptiven Lebensdauerprognose für Infrastrukturbauwerke aus Stahlbeton unter kombinierter Beanspruchung aus Chloridexposition und mechanischen Einwirkungen erforscht. Grundlage bildet die kontinuierliche Anpassung eines Prognosemodells auf Basis ausgewählter und aufbereiteter Sensordaten. Für die Auswertung lokal erfasster, teils fehlerbehafteter Messwerte sowie zur modellseitigen Parametrierung werden Verfahren des maschinellen Lernens eingesetzt. Insbesondere kommen neuronale Netze zum Einsatz, um den strukturellen Zustand fortlaufend zu bewerten und die Lebensdauerprognose dynamisch anzupassen.

Die in Abbildung 2 dargestellte Systematik veranschaulicht das Prinzip der adaptiven Lebensdauerprognose: Der Widerstand des Materials gegen Chloridmigration in Abhängigkeit des Lastniveaus wird zu Beginn der Lebensdauer bestimmt und mit lokal gemessenen Dehnungen am Bauwerk mittels faseroptischer Sensoren kombiniert. Daraus ergibt sich ein belastungsabhängiger Diffusionswiderstand, auf dessen Basis eine initiale örtlich aufgelöste initiale Lebensdauerabschätzung erfolgt. Diese Prognose wird mit zunehmendem Alter des Bauwerks fortlaufend durch Drahtkorrosionssensoren aktualisiert, die das Fortschreiten der Korrosionsfront über Drahtbrüche anzeigen und so eine zeitlich und räumlich aufgelöste Modellanpassung ermöglichen.

 

 

Ausgewählte Sensor- und Prognosedaten werden innerhalb eines Digitalen Zwillings in einer zentralen Datenbank gebündelt. Durch Abgleich mit geometrischen Bauteildaten sowie der Lage der Bewehrung können potenzielle Problemzonen lokalisiert und mittels Augmented Reality (AR) direkt am Bauwerk visualisiert werden, siehe Abbildung 5. Hierdurch wird die gezielte Identifikation oberflächlich noch nicht sichtbarer Schädigungen im Rahmen von Bauwerksprüfungen erleichtert. Die adaptive Prognose unterstützt somit eine vorausschauende, zustandsbasierte Planung und Lokalisierung zukünftiger Instandsetzungsmaßnahmen.

Das Projekt wird in Kooperation von Prof. Dr. Dirk Lowke (Baustoffe und Bauwerksinstandhaltung) und Prof. Dr. Henning Wessels (Datengetriebene Modellierung) geleitet, um die adressierten Forschungsfragen sowohl hinsichtlich der bautechnisch-betontechnologischer Aspekte als auch im Hinblick auf die Künstliche Intelligenz in einer hinreichenden Tiefe zu untersuchen.

Spotlights

1. Dauerstandversuche an Ersatzbauwerken

1.1 Ziel

Untersuchung des Chlorideindringens in gerissene Stahlbetonbauteile unter statischer Dauerlast

1.2 Experimentelle Randbedingungen:

  • Versuchsaufbau: Vier-Punkt-Biegeversuch
    Das konstante Biegemoment zwischen den inneren Auflagern ermöglicht eine gezielte Rissentwicklung in der Zugzone und definiert den Bereich der Chloridexposition.
  • Dehnungsmonitoring: Faseroptische Sensorik (DFOS)
    Die kontinuierliche und ortsaufgelöste Erfassung der Rissbreitenentwicklung in der Zugzone erfolgt mittels aufgeklebter Glasfasersensoren.
  • Korrosionsmonitoring:
    Die tiefengestaffelte und zeitlich aufgelöste Detektion des Korrosionsbeginns erfolgt durch den kombinierten Einsatz von:
    • Drahtkorrosionssensoren → Nachweis des Korrosionsbeginns über Drahtbruch (sprunghafter Anstieg des elektrischen Widerstands)
    • Anodenleitern → Messung des Korrosionsstroms.
  • Bohrkernentnahmen:
    Analyse der Chlorideindringtiefe mittels Farbindikatorverfahren zur Verifizierung der Sensordaten.

1.3 Ergebnisse (vgl. Abbildung 3):

  • Dehnung und Rissbreiten
    • Oben: örtlich aufgelöste Dehnungskurve entlang der Balkenmitte
    • Daraus abgeleitet: Risspositionen und -breiten (µm) über DFOS
  • Korrosionsmonitoring
    • Anodenleiter (links): 6 Sprossen (Betondeckung AN1: 5mm bis AN6: 25 mm), markierter Korrosionsbeginn in Stunden
    • Drahtsensoren (rechts): Betondeckung 15, 20 und 25 mm, Drahtbruch in Tagen, X = Sensorausfall
    • Bohrkernentnahme: Lage durch Kreise markiert, Chlorideindringtiefe in mm (Farbumschlag) angegeben

1.4 Aktueller Stand:

  • Fortführung der Versuchsreihe zur Modellparametrisierung und Generierung von Trainingsdaten für KI-basierte Prognosemodelle.

 

 

2. Adaptive Lebensdauerprognose

2.1 Ziel

Lebensdauerprognose auf Basis kontinuierlich erfasster Sensordaten

2.2 Konzept

    • kontinuierliche Modellkalibrierung mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) unter Verwendung von Messdaten aus dem Korrosionsmonitoring
    • Drahtkorrosionssensoren mit Tiefenstaffelung einzelner Drähte, die das Eindringen der Korrosionsfront detektieren
    • Korrosionsbeginn wird durch einen sprunghaften Anstieg des elektrischen Widerstands infolge eines Drahtbruchs erfasst
    • adaptive Modellanpassung mittels Bayes’scher Optimierung auf Grundlage zeitlich und räumlich diskretisierter Sensordaten

3. Validierung am Bauwerk

3.1 Ziel

Validierung der adaptiven Lebensdauerprognose auf Basis der Drahtkorrosionssensoren aus der Forschungsbrücke „Concerto“, siehe Abbildung 4.

 

 

4. Digitaler Zwilling und Visualisierung mit AR

4.1 Ziel

Visualisierungskonzept für die Einbindung von AR-Anwendungen, bei dem die virtuellen Inhalte in zwei Ebenen dargestellt werden sollen.

4.2 Umsetzung

    • erste Ebene: grafische Einblendungen auf der Bauteiloberfläche
    • zweite Ebene: Pop-up-Elemente und Visualisierung von Mess- und Prognosedaten

 

Publikationen

Publikationen

[Ant25]   Anton, David, Tröger, Jendrik-Alexander, Wessels, Henning et al. „Deterministic and statistical calibration of constitutive models from full-field data with parametric physics-informed neural networks”. Advanced Modeling and Simulation in Engineering Sciences 12, 12 (2025). https://doi.org/10.1186/s40323-025-00285-7

[Bec24]  Becks, H.; Lippold, L.; Winkler, P. et al.: Neuartige Konzepte für die Zustandsüberwachung und -analyse von Brückenbauwerken – Einblicke in das Forschungsvorhaben SPP100+. In: Bauingenieur 99 (2024), Heft 10, S. 327-338. doi.org/10.37544/0005-6650-2024-10-63.

[Dre15]  Dreßler, Inka; Wichmann, Hans-Joachim; Budelmann, Harald (2015): Korrosionsmonitoring von Stahlbetonbauwerken mit einem funkbasierten Drahtsensor. Bautechnik 92(2015)10, S. 683–687. DOI: 10.1002/bate.201500051.

[Hol10]   Holst, Alexander; Budelmann, Harald; Wichmann, Hans-Joachim (2010): Korrosionsmonitoring von Stahlbetonbauwerken als Element des Lebensdauermanagements. Beton- und Stahlbetonbau 105(2010)12, S. 536–549. DOI: 10.1002/best.201000066.

[Low08]  Lowke, D.; Schmidt, K.; Schießl, P.; Heinz, D.: Dauerhaftigkeitspotentiale selbstverdichtender Betone: Auswirkungen der Betonzusammensetzung auf Dichtigkeit, Carbonatisierung, Frostwiderstand und Alkali‐Kieselsäure‐Reaktion. Betonund Stahlbetonbau 103(2008)5, S.324-333

[Men20] Mengel, L.; Krauss, H.W.; Lowke, D.: Water transport through cracks in plain and reinforced concrete–Influencing factors and open questions. Construction and Building Materials 254, 118990

[Mil12]    Milachowski, C.; Lowke, D.; Gehlen, D.: Detection of transport processes during freeze-thaw deicing salt attack using single-sided NMR. Proc. of 2nd Conference on Microdurability, Amsterdam, 11.-14.04. 2012

[Nar25a] Narouie, V., Wessels, H., and Römer, U.: Inferring displacement fields from sparse measurements using the statistical finite element method. Mechanical Systems and Signal Processing, 2025. doi.org/10.1016/j.ymssp.2023.110574

[Nar25b] Narouie, V., Wessels, H., Cirak, F., and Römer, U.: Mechanical State Estimation with a Polynomial-Chaos-Based Statistical Finite Element Method. Comput. Methods Appl. Mech. Engrg., 2025. doi.org/10.1016/j.ymssp.2023.110574

[Pot24]   Potnis, A.; Macier, M.; Leusmann, T.; Anton, D., Wessels, H.; Lowke, D. (2024): Model-based reinforcement corrosion prediction: Continuous calibration with Bayesian optimization and corrosion wire sensor data. arXiv Preprint. DOI: 10.48550/arXiv.2411.16447.

[Roe25]  Römer, U., Hartmann, S., Tröger, J., Anton, D., Wessels, H., Flaschel, M., and De Lorenzis, L.: Reduced and All-at-Once Approaches for Model Calibration and Discovery in Computational Solid Mechanics. ASME. Appl. Mech. Rev., 2025. https://doi.org/10.1115/1.4066118

[Shi24]   Shivalingappa, G., Anton, D., & Wessels, H.: Parametric Neural Networks as Full-Field Surrogates for Material Model Calibration. Proceedings of the 10th European Workshop on Structural Health Monitoring (EWSHM 2024), June 10-13, 2024 in Potsdam, Germany. e-Journal of Nondestructive Testing . doi.org/10.58286/29583

[Thi16]   Thiel, C.; Beddoe, R.E.; Lowke, D.; Gehlen, C.: Investigating the role of moisture on concrete carbonation using single-sided 1H-NMR.2016, Int. RILEM Conference Materials, Systems and Structures in Civil Engineering 2016, S. 261-268

[Ull21]    Ullmann, Stefan; Lowke, Dirk: Effect of Young's Modulus on the degradation of repair mortars chloride migration resistance under coupled loading conditions. In: Int. RILEM Conference Microstructure Related Durability of Cementitious Composites, 2021, The Hague, Netherlands, Bd. 4., resolver.tudelft.nl/uuid:1530eaec-7575-4ebb-bb89-80ea9a785cbd